13. Juni 2024
Im nitsch museum in Mistelbach wurde am Samstag, dem 8. Juni, die erste Ausstellung eröffnet, bei der Hermann Nitschs künstlerisches Werk einer zweiten Position, dem dänischen Künstler Asger Jorn, gegenübergestellt wird. „Jorn – Nitsch“ ist bis Sonntag, dem 24. November zu sehen. Zur Eröffnung, bei der auch Rita Nitsch anwesend war, sprachen Mag. Michael Karrer, Direktor des nitsch museums, Florian Steininger, Direktor der Kunsthalle Krems und Kurator der Ausstellung, Christian Kortegaard Madsen, Direktor des Museum Jorn und Hermann Dikowitsch, Leiter der Abteilung Kunst und Kultur des Landes Niederösterreich.
„Die Möglichkeit andere nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler mit dem Schaffen von Hermann Nitsch in Kontext zu setzen, dabei Einflüsse, Parallelen und signifikante Unterschiede zu erarbeiten, wird neue Perspektiven auf das Werk des Künstlers ermöglichen“, so Mag. Michael Karrer, künstlerischer Direktor des nitsch museums. Als Rahmenprogramm zur Ausstellung gibt es neben Kuratorenführungen mit Florian Steininger auch eine Podiumsdiskussion „Das Mystisch-Kultische im Werk von Asger Jorn und Hermann Nitsch“ am Samstag, dem 7. September, und zur Finissage am Samstag, dem 23. November, ein Gespräch „Nitsch und … die Philosophie“ mit Michael Fleischhacker und Franz Schuh.
Die monumentale Halle des nitsch museums schafft durch eine graue Zwischenwand zwei Begegnungszonen für zwei Kapitel der Kunstgeschichte der Nachkriegszeit. Entlang der Zwischenwand werden jeweils grafische Werke und Skizzen der Künstler gezeigt, entlang der Wände der Ausstellungshalle die großen Malereien. Ein dritter Bereich widmet sich den Malhemdenbildern.
Künstler Asger Jorn:
Asger Jorn (geboren 1914 in Vejrum, gestorben 1973 in Aarhus in Dänemark) zählt neben Karel Appel und Pierre Alechinsky zu den bekanntesten Protagonisten der CoBrA-Gruppe, eine der führenden Avantgardebewegungen der Nachkriegszeit in Europa, die sich für Ursprünglichkeit und Freiheit der Kunst ausgesprochen haben. Florian Steininger, der künstlerische Direktor der Kunsthalle Krems, hat kuratiert. Zeitgleich wird im Museum Jorn, Silkeborg eine Hermann Nitsch Personale gezeigt.
Protestantischer Norden trifft auf katholisch-barockes Weinviertel:
Die größten Gemeinsamkeiten der beiden Künstler finden sich im Mythisch-Kultischen sowie im Gestisch-Materiellen der Malerei. Asger Jorn thematisiert die nordische Kultur, das „Vandalische“ in Form von archaischen Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen. Jorns künstlerische Auseinandersetzung mit dem Keltischen im nordeuropäischen Kulturkreis der Urgeschichte bildet einen Brückenschlag zum benachbarten MAMUZ Museum in Mistelbach. Nitsch taucht in die spirituell-dionysische Welt des Rausches, der Ekstase, der Erotik, des Schmerzes, der Vernichtung und schlussendlich der Auferstehung ein.
Jorns sowie Nitschs Malerei sind von sinnlicher Kraft, körperlichem Einsatz und Materialität geprägt. Mit seinen Aktionsmalereien und Schüttbildern ab den frühen 1960er-Jahren hatte der Wiener Aktionist das Tafelbild entschieden erweitert und als Vorstufe zu seinem Orgien Mysterien Theater definiert. Vor allem ist sein malerisches Spätwerk von gestischen Entladungen in pastoser Materialität und kräftigem Kolorit erfüllt. Jorn schöpft aus dem Unbewussten jenseits der rationalen Welt und schafft hybrid-organische Formverwilderungen, die sich in eine abstrakte Malereisubstanz auflösen.
Eine weitere Parallele findet sich im Einsatz der Zeichnung und dem Primat der Linie, ob Jorns archaisch-kindliche Kopffüßler und Mensch-Tier-Kreationen oder Nitschs anatomisch sowie organisch geprägte Architektur-Notationen seines grafischen Werks.
Zum künstlerischen Schaffen von Asger Jorn:
Asger Jorns künstlerisches Werk setzt in den frühen 1930er-Jahren ein und reicht in die frühen 1970er-Jahre. Malerei und Zeichnung sind die medienbestimmenden Gattungen, erweitert durch skulpturale Praxis, Druckgrafik, Plakatkunst und literarische Werke. Nach einer ersten Ausstellungsbeteiligung in seinem dänischen Heimatort Silkeborg verlässt der Künstler das provinziell konservative Umfeld und bricht auf in die damalige Kunstmetropole Paris. Dort arbeitet er in Fernand Légers Atelier und assistiert Le Corbusier für die Weltausstellung im Jahr 1937. Die frühen Blätter der Ausstellung verdeutlichen die Experimentierfreude des Künstlers, wie etwa die „Flottagen“ von 1939, Monotypien auf flüssigem Grund, die verschwommene pflanzlich-figurative Abdrücke zur Schau stellen. Demgegenüber wirken die Aktzeichnungen und die Totenkopfstudie noch einer klassisch naturalistischen abbildenden Kunstauffassung verpflichtet. Die körperliche Präsenz im Bild als physischer Abdruck zeichnet sich im Fußsohlenbild von 1940 aus. Hierbei sei auf Hermann Nitschs Integration seines Körpers in seinen Schüttbildern in Form von Hand- und Fußabdrücken verwiesen, als direkte aktionistische Spur auf der Leinwand. Körper und Gemälde vereinigen sich.
Aus dem Unbewussten schöpfend zeichnet und malt der dänische Künstler. Archaisch-mythische Quellen strömen in die intuitive künstlerische Praxis. Hybride Mensch-Tier-Metamorphosen, kafkaeske Käfer und zähnefletschende Kobolde der dunklen Seite der Welt fließen aus der Tuschefeder aufs Blatt Papier. Die von Jorn mitbegründete CoBrA-Gruppe (1948 bis 1951) fußt auf dem Primat der archaisch-vorkulturellen Kunst, der Art brut und der Kinderzeichnung und positioniert sich gegen jeglichen Rationalismus und Akademismus in der Kunst.
Jorn ist der Künstler des Nordens, der vorkulturellen Wildheit. Die „barbarische“ Kultur Nordeuropas ab der Bronzezeit, insbesondere der skandinavischen Länder, steht der abendländischen Kultur der klassischen Antike des Mittelmeerraums entgegen. Jorns Figurationen sind wild, archaisch: metamorphe Kopffüßer mit knurrenden Mäulern. Es sind wirkmächtige Bilder des Nordens.
In der Malerei ab den 1950er-Jahren bis zu seinem Spätwerk ist Jorn der große Formenverwilderer, die Bildoberfläche wird zur expressiven informellen Urmaterie, aus der surreal-groteske Kreaturen herauswachsen und in ihr zugleich wieder vergehen. Impulsivität, das Strömen und Wogen der Farbmassen, bestimmt das Bildgeschehen. Ein bewusster Abbau der Malkultur tritt in Kraft, das Unbewusste gezielt eingesetzt, mit dem ursprünglich Rohen kokettierend. Hermann Nitschs späte Gemälde zeugen von einer ähnlichen pastos-sinnlichen Struktur mit buntfarbiger Kraft, allerdings rein im malerisch Ungegenständlichen bestimmt. Ein körperliches Wühlen im breiigen Gedärm der Malerei. Insbesondere Jorns Spätwerk ist vom aufhellenden Kolorismus geprägt, das Dunkle der Nacht weicht dem Hellen. Seine Keramiken, Teller, Figurinen oder abstrakte Formen korrespondieren in ihrer prozesshaft-informellen Gestalt mit den Tafelbildern dieser Phase.
Druckgrafische Blätter mit gestisch-expressiven Spuren in rot-feuriger sowie blau-wässriger Atmosphäre ergänzen Jorns malerisch-informelles Werk in der Ausstellung.
Anfang der 1960er-Jahre entstanden experimentelle abstrakte Schüttungen mit Lackfarbe, die sogenannten „Luxusbilder“. Getropfte Liniensysteme vernetzen sich auf der Bildfläche zu kosmischen Arealen. In Anlehnung an Jackson Pollocks Drip Paintings sind Jorns Drippings ironisch gebrochen, mit dadaistischer Note, abstrakte Bad Paintings ohne Anspruch auf Erhabenheit. Nitschs erste mit körperlichem Impetus aufgeladene Schüttbilder entstehen etwa zeitgleich zu Jorns getropften Gemälden. In den Modifikationen um 1960 eignet sich der dänische Künstler bestehende Kitschbilder an, die er übermalt, als destruktiver Akt gegen die konventionelle realistische Malerei. Jorns Decollagen aus Plakatfetzen formen sich zu abstrakt-farblichen Kompositionen. Hierbei verwendet er Reklameplakate, deren kapitalistische Inhalte der linksrevolutionäre Künstler destruiert. 1968 schließt sich Jorn den Studentenrevolutionen in Paris an und kreiert agitatorische Kunstplakate. Im selben Jahr findet auf der Universität Wien die „Uni-Ferkelei“-Performance Kunst und Revolution der Wiener Aktionisten statt, dessen Gruppierung Hermann Nitsch angehört.
Stets ging es dem dänischen Künstler um eine innovative, offene künstlerische Praxis mit einem breiten Spektrum für Fantasie und Freiheit.
Eintrittspreise:
Erwachsene: 12 Euro
Ermäßigt/Gruppen/Seniorinnen und Senioren/Studierende bis 26/Jugendliche (15 bis 18 Jahre): 10 Euro
Kinder (11 bis 14 Jahre): 3 Euro
Kinder bis 10 Jahre (in Begleitung eines Erziehungsberechtigten): Eintritt frei
Schülerinnen und Schüler (im Klassenverband): 3 Euro
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 17.00 Uhr
an Feiertagen auch montags geöffnet
Nähere Informationen:
nitsch museum Mistelbach
Waldstraße 44-46
2130 Mistelbach
Tel.: 02572/20719
E-Mail: info@nitschmuseum.at
Internet: www.nitschmuseum.at, https://museumjorn.dk/en/about-asger-jorn/ und www.nitsch.org