07. Dezember 2017
Die Wirtschaft im Großraum Wien – Brünn – Bratislava ist im Gegensatz zu Teilen Oberösterreichs und der Steiermark nicht durch eine starke fachliche Clusterung gekennzeichnet. Mit einer Positionierung der vernetzten Fertigung sind im europäischen Wirtschaftsraum weitere Trends der Re-Etablierung von Industrie in bisherigen Hochlohnländern denkbar. Zusammengefasst wird dieses Thema als „Industrie 4.0“ oder „Wirtschaft 4.0“. Die HTL Mistelbach arbeitet schon seit ihrer Gründung im Jahr 2004 an der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik und dabei an der Sensorik, der Signalverarbeitung, der Interaktion und der Robotik, wie unzählige Projekte gemeinsam mit der Wirtschaft belegen. „Um diesen Ideen entsprechendem Raum zu geben, sind zwar einerseits Betriebsflächen in den Wirtschaftsparks in Wolkersdorf, Mistelbach/Wilfersdorf und Poysdorf verfügbar, es fehlt jedoch an einem tertiären (Weiter-)Bildungsangebot in der Region und damit an einem wichtigen Standortvorteil im internationalen Wettbewerb der Technologiestandorte“, betont der Direktor der HTL und Bürgermeister von Mistelbach Dr. Alfred Pohl. Die Umsetzung dieses tertiären Bildungsangebots ist in Kooperation mit einer etablierten und akkreditierten Fachhochschule umsetzbar. Realistisch erscheint eine berufsbegleitende Abendform mit Fernlerneinheiten. Als Raum- und grundlegende Ausstattungsressource ist das Potential der HTL Mistelbach verfügbar, alternativ in Kooperation mit einer außerösterreichischen (Fach-)Hochschule.
Im Weinviertel selbst arbeiten viele Menschen in Dienstleistungsbereichen, im Handel und im gewerblichen Bereich und vergleichsweise wenige in industrieller Fertigung. Dabei ist eine zumindest teilweise Substitution von Arbeitsplätzen in den genannten Bereichen nicht auszuschließen. „Durch die gute Erreichbarkeit zählt der Großraum Wien eindeutig zum Arbeitsmarkt für die Weinviertler und wird Wohnen im Weinviertel und Arbeiten in Wien bzw. im Umland als Lebenssituation mit hoher Lebensqualität gewählt“, weiß der Bürgermeister.
Entlang der leistungsfähigen Verkehrsachsen in den Großraum Wien erfolgt parallel zu Wien massives Bevölkerungswachstum. Abseits der Achsen ist infrastrukturell eine starke Anbindung und Orientierung hin zu den lokalen Zentren gegeben. Wirtschaftsansiedlungen im Weinviertel gelingen punktuell gut und haben durch die bevorzugte Lage längerfristig das Potenzial für qualifizierte Arbeitsplätze. „Wir werden immer mehr ein wirtschaftlicher Hot Spot in Niederösterreich. Nachdem nun das größte Infrastrukturprojekt mit der Verlängerung der A5 Nordautobahn abgeschlossen ist und die Betriebe die besten Voraussetzungen in unserer Region vorfinden, gilt es nun einen Schritt weiter zu gehen. Jetzt geht es darum der Wirtschaft auch die Mitarbeiter zu bieten die gebraucht werden. Da haben wir zwei Probleme: Einerseits fehlen Facharbeiter. Deshalb muss die Lehrlingsausbildung forciert werden. Andererseits haben wir auch im tertiären Bildungsbereich zu wenig Angebot. Da könnte eine Fachhochschule mit Schwerpunkt auf Digitalisierung und Robotik Abhilfe schaffen. Damit würde die Attraktivität der Region für Betriebsansiedelungen stark steigen. Denn derzeit liegen wir bei einer Statistik von fünf Unternehmensgründungen pro 1.000 Einwohner, da ist noch mehr Luft nach oben vorhanden“, ist der Vizepräsident der Wirtschaftskammer Landtagsabgeordneter Mag. Kurt Hackl überzeugt.
Resolution an die Bundesregierung:
Was sind die nächsten Schritte? „Nach entsprechendem Beschluss im Gemeinderat wird eine Resolution in Sachen HTl-Verbundlichung und auch in Sachen Fachhochschulbildung hier am Standort in Mistelbach an die Bundesregierung und an alle Klubsprecher verabschiedet“, erklärt der Bürgermeister, ehe in weiterer Folge auch Gespräche mit den neuen Regierungsverantwortlichen als auch mit Verantwortlichen des Landes Niederösterreich folgen werden. „Dies muss auch der klare Wunsch an die neue Bundesregierung sein und wäre der richtige Zeitpunkt, wenn die neuen Budgetmittel verteilt werden“, ergänzt der Wirtschaftskammer-Vizepräsident. „Denn die Digitalisierung schreitet derart schnell voran, sodass wir in zehn Jahren ganz andere Voraussetzungen als heute vorfinden! Und in unserer Region haben wir genügend Potential, die Hardware haben wir stehen, jetzt fehlt nur noch die Software!“
Industrie 4.0 bzw. Wirtschaft 4.0:
Wirtschaft 4.0 bedeutet das Vernetzen der Historie und der Gegenwart, also eines bestehenden Datenbestandes zur Steuerung von Prozessen. Dafür erforderlich ist das Bereitstellen von Daten und von geeigneten Algorithmen. In beiden Bereichen ist starkes Wachstum und sind gute Marktchancen zu erwarten, da dadurch die Effizienz, die Sicherheit und der Komfort von Vorgängen gesteigert werden kann. Beginnend mit den aktuellen Generationen der Mobilkommunikation rückt die Interaktion mit dem Menschen weiter in den Mittelpunkt. Während bisher nur die Anwesenheit, ein Profil oder die Historie von Aktionen der Benutzer in die Verknüpfung von Daten einbezogen wurden, werden über weitere Kanäle das Aussehen, die Stimmung, die Gesundheitsfunktionen usw. verwendet.
Für die Forschung, die Wirtschaft und die Bildung bringt das neue Herausforderungen mit sich: Sensorik und Robotik werden ergänzt durch Biosensorik und weitere, vielkanalig auf den Menschen bezogene Datenerfassung. Die Anwendungen beschränken sich nicht auf die Mobilkommunikation, sondern von dort ausgehend auf alle Bereiche des Lebens, von der individuellen Mobilität bis zur Pflege und Betreuung. „Die Schnittstellen zum Menschen werden „menschlicher“ und müssen noch mehr auch für nicht-technikaffine Nutzer geeignet sein. Neben hochqualifizierten Unternehmen und deren Arbeitnehmern, die Systeme entwickeln, planen, bauen und programmieren eröffnet sich so eine neue Branche von Anwendungsentwicklern für die Plattformen, die gut geeignet, aus einer zentralen und vernetzten Region wie dem Weinviertel heraus den Wirtschaftsraum Europa zu adressieren. Das Thema der „Technik-Ethik“ wird sichtbar und relevant, wobei es nun nicht mehr nur um den Ersatz menschlicher Arbeitskraft und damit eventuell um Gefährdung von Arbeitsplätzen, sondern um die Entscheidungsgewalt und die Entscheidungsfreiheit geht, wenn die ursprünglich nur assistive Technologie plötzlich selbst lernt und Entscheidungen trifft“, ist der Schuldirektor überzeugt.
Und im Kontext mit den wirtschaftlichen, sozialen und technologischen Entwicklungen ist Bildung längst nicht mehr nur ein Thema für Kinder und junge Erwachsene. Bildung und Weiterqualifikation wird zunehmend lebensbegleitend. „Wir müssen uns ständig weiterbilden. Menschen, die sich berufsbegleitend weiterbilden sind unsere Zielgruppe, die es zu erreichen gilt“, so der HTL-Direktor. Universitäten leisten bereits in bewährter Art die Vermittlung, Entwicklung und Weiterentwicklung auf internationalem Niveau auf Basis einer soliden wissenschaftlichen Grundlage. Unternehmen am Markt brauchen qualifizierte Mitarbeiter, die den unmittelbaren Anwendungsbezug haben und lokal verankert sind. Für die Weiterentwicklung der Unternehmen und damit für die Entwicklung und Sicherung des Standortes sind die Verfügbarkeit und eine wechselseitige Partnerschaft zu einem Anbieter für (berufsbegleitende) Bildung und Weiterbildung notwendiger als je zuvor. Adressaten eines regional präsenten tertiären Bildungsanbieters sind natürlich auch Menschen auf Arbeitssuche zum Zwecke der Weiterqualifizierung und Reintegration in den Arbeitsprozess.